Gemeindehäuser: Eine Erfindung des 19. Jahrhunderts

Haus der offenen Tür

Bis in das 19. Jahrhundert kannte die christliche Religion Gemeindehäuser, wie sie heute geläufig sind, nicht. Die Gemeindeglieder trafen sich zum Gottesdienst in der Kirche, darüber hinaus gab es keinen feststehenden Treffpunkt, der sich im Besitz und der Verantwortung der Kirchengemeinde befand. Anders als im Judentum und im Islam hatte das Gotteshaus selbst nie die Funktion eines sozialen Zentrums der Religionsgemeinschaft. 

Kirchliche Antworten auf Verelendungstendenzen

Im Zuge einer Erweckungsbewegung und der „Inneren Mission“ entstanden ab etwa 1815 Bibellesekreise (für junge Männer) und 1831 „Rettungshäuser für verwahrloste Jugendliche“ – beide vornehmlich in den Gegenden in denen die soziale Frage des 19. Jahrhunderts besonders drängend war. Das – sich nicht allein in der Kirche immer weiter ausdifferenzierende – Gruppen- und Vereinswesen war die religiöse Antwort auf die Verelendung der Arbeiterklasse, die vom Pietismus im Wesentlichen durch eine Entchristlichung der Gesellschaft erklärt wurde, die moralische Maßstäbe außer Kraft gesetzt hatte. Deshalb konzentrierte sich das Bemühen der Pioniere der Diakonie (z.B. Amalie Seveking, Johann Hinrich Wichern, Ludwig Hofacker, Theodor Fliedner) darauf, den (jungen) Menschen eine Lebensgestaltung zu vermitteln (und mit ihnen zu leben!), innerhalb derer sie wieder ihren Platz in der Gesellschaft finden konnten.

Gemeindehäuser als Gemeindezentren

Die Entstehung von christlichen Gemeindezentren definiert deshalb ein Lexikon als „baukonzeptionelle Antwort auf die Ausdifferenzierung volkskirchlicher Strukturen zu gruppenspezifischen Formen“ (RGG III, 42000; 631f.). Kurz gesagt: Über die Gottesdienste und Verkündigung hinaus sollten Christen allen Alters in sozialen Verbänden zusammen finden können. So bekamen die Gemeindehäuser die Funktion eines Versammlungsraumes für Konfirmandenunterricht, Bildungs- und Kulturveranstaltungen, Seniorenbegegnung, Jugendarbeit, Gruppenzusammenkünfte, für Feste und Feiern.

Das „Haus der offenen Tür“

In Edewecht war 1838 die „neue Küsterey“ an der Hauptstraße gebaut worden. Sie wurde als Dienstwohnung für die Organisten genutzt und zuletzt – bis zu ihrem Abriss 1966 – vom damaligen Diakon Hermann Gerling bewohnt. Direkt nebenan war inzwischen das „Haus der offenen Tür“ entstanden. Nun hatte die Kirchengemeinde ein großzügiges Gemeindezentrum zur Verfügung, an das auch gleich eine Hausmeisterwohnung angebaut worden war, die zunächst noch ohne Zimmertüren bezogen werden musste.

Das „OT“ – so wurde damals von den Jugendlichen das „Haus der offenen Tür“ genannt – beherbergte einen Sanitätsraum der Johanniter und im heutigen Bücherkeller standen zunächst Tischtennisplatten; insgesamt platzte das Gebäude bald aus allen Nähten, so dass Ende 1980er Jahre der Jugendkeller ausgebaut wurde.

Der Zahn der Zeit hat inzwischen ziemlich an diesem Haus genagt, aber das ist nach knapp 50 Jahren intensiver Nutzung auch nicht wirklich verwunderlich. Manche kleinere oder größere Umbaumaßnahmen hat das „HOT“ gesehen, es ist einerseits für die aktuelle Nutzung gut ausgestattet und -gerüstet, zum anderen können Energiebilanz und manche bauliche Unzulänglichkeiten nicht zufrieden stellen. So ist relativ klar zu sehen, dass es in absehbarer Zukunft darum gehen muss, das „Haus der offenen Tür“ fit zu machen für das nächste halbe Jahrhundert.

Pastor Achim Neubauer

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